In die Höhe Gärtnern: Vertikale Nutzgärten leicht gemacht, ein Interview mit der Buchautorin Gudrun Ongania.
garten.ch Wie sind Sie zum Buchthema gekommen?
Gudrun Ongania: Mein erstes Buch war für Einsteigerinnen und Einsteiger ins Thema urban gardening. Im Laden kam oft das Feedback, dass die Leute nur sehr kleine Flächen haben. Man könnte zwar noch etwas ans Balkongeländer hängen, wenn man aber mehr anpflanzen will, muss man in die Vertikale gehen. Wir haben mal geschaut, was für Bücher es zum Thema vertikale Gärten bereits gibt und haben gesehen, dass zu unserem Thema vertikale Nutzgärten eine Lücke besteht.
Welche Motivation steckt dahinter?
Wir wollen aufzeigen, dass es auch in die Höhe geht und funktioniert mit den Nutzpflanzen. Der Mensch macht es eigentlich schon lange. Ampelpflanzen sind weit verbreitet, nur die Verbindung mit Gemüse ist neu.
Ich hatte schon immer gern geschrieben. Auch in meiner Jugend publizierte ich Artikel und Gedichte in der Regionalzeitung und im Kirchenblatt. Vor ein paar Jahren erhielt ich von der Schweizer Illustrierten eine Anfrage im Rahmen einer Kolumne mein Wissen weiterzugeben.
Die Idee vom Buch ist es Erfahrungen aus der Praxis und einfache Tipps an Leserinnen und Leser weiterzugeben ohne dass sie dabei überfordert sind.
Sind weitere Bücher in Planung?
Momentan ist nichts Konkretes geplant. Eine Idee wäre ein Buch zum Thema Anpflanzen für bestimmte Menüs. Die Produktion eines Buches ist aufwändig. Unser Fokus ist momentan beim Betrieb und der Entwicklung der Läden in Zürich und neu in Winterthur.
Sind Vertikale Nutzgärten Lückenbüsser oder sehen Sie sie als gleichwertige Möglichkeiten für die Gemüseproduktion?
Der Hauptaspekt liegt bei der Begrünung. Die Gemüseproduktion ist ein Zusatznutzen. Leserinnen oder Leser möchten es ausprobieren, es geht nicht um Selbstversorgung, die Ernte ist ein zusätzlicher Benefit. Ästhetische Komponenten stehen im Vordergrund. Es ist kein Überlebensprogramm, es geht mehr ums Erlebnis.
Was empfehlen Sie Neulingen im Gemüsegarten? Den Einstieg über vertikale Nutzgärten oder klassisch über ein Gemüsebeet?
Ein Einstieg für Neulinge über Gefässe ist geeignet. Am einfachsten mit kleinen Gefässen und mit einfachen Sachen anfangen, z.B. Schnittsalat, Kohlräbchen, Blattgemüse, Asia-Salat, Spinate, am idealsten etwas, was wenig Substrat braucht und anspruchslos ist. Wichtig ist die Frage wie viel Zeit jemand investieren will. Eine Stunde pro Woche für einen Schrebergarten geht in der Regel nicht auf. Für Leute mit mehr Zeit ist auch ein Gartenbeet von 10m2 möglich. Dann hängt es von der Bepflanzung ab, welchen Anspruch man hat. Gründüngung und geeignete Mischkulturen bewirken, dass man nicht zu viel jäten muss.
Welche Pflanzen eignen sich eher für Fortgeschrittene?
Schwieriger sind Tomaten auf dem Balkon, sie erfordern grössere Töpfe und mehr Substrat. Melonen oder Auberginen sind auch eher anspruchsvoll. Einfacher sind Zucchini, Stangen- und Buschbohnen. Erdbeeren sind auch eher einfach. Wichtig ist uns, dass wir die Leute fragen, ob sie wissen, wie die Pflanzen zu kultivieren sind. Wir fordern die Leute auf die Anleitung auf den Samentüten zu lesen und zu überlegen, wie viel Sonne am Standort verfügbar ist. Wichtig ist dass die Leute schlussendlich Freude daran haben.
Welches sind die häufigsten Fehler die Personen mit vertikalen Nutzgärten machen?
Die häufigsten Fehler sind, dass das Gefäss nicht zur Pflanze passt oder die Pflanze passt nicht zum Gefäss. Bei vertikalen Nutzgärten ist unten eher Nass und oben eher trocken. Trockenheit liebende Pflanzen sollte man oben pflanzen und Nass liebende eher unten.
Weiter muss man kleine Gefässe öfters giessen, manchmal einmal pro Tag. Da bei vertikalen Nutzgärten oft kleine Gefässe im Einsatz sind, ist giessen ein wichtiger Aspekt. Für stapelbare Gefässe gibt es Bewässerungssysteme mit Solar-Wasser Pumpen. Das Blumat Bewässerungssystem mit Keramiksensoren ist auch geeignet. In der Regel sind es Systeme, die keinen direkten Wasseranschluss benötigen. Ein Schlauch durch die Wohnung zu legen ist eher keine Lösung. Die Gefahr massiver Wasserschäden bei auslaufendem Wasser ist sehr hoch.
Wie ist VEG and the City entstanden?
Am Anfang stand der Wunsch etwas selbständig zu machen. Das führte zur Gründung von Changesolutions GmbH. Veränderungsmanagement ist ein Thema, das mich interessiert. Zu Beginn haben wir auf den Gartenteil fokussiert und VEG and the City in einer Garage als Onlineshop für Zubehör für urban gardening gestartet. Heute sind wir 16 Leute. VEG and the City ist in drei Bereichen aktiv:
- Handel: Alles Zubehör fürs urbane Gärtnern wird zum Kauf angeboten über den Online-shop, viaLadenlokale, Wiederverkäufer oder Shop in Shop Konzepten in anderen Gärtnereien
- Gärtner lernen: Wir bieten verschiedene Kurse an. An Teamevents arbeiten wir bis mit 100 Leuten. Wir fördern die Wissensvermittlung über unsere Bücher, Kolumnen, die Homepage, Blogs, Podcasts, Videos und Planungshilfen
- Selber Gärtnern: VEG and the City bietet Mietbete an in Zürich – Affoltern. Wir unterstützen Leute in der urbanen Gartenplanung von kleinen Balkonen bis grösseren Flächen. Wir beraten bei genossenschaftlichen Überbauung wie man am besten Gemüsebeete einteilt und wir führen auch umfangreiche Bepflanzungen bei Kunden durch, z.B.: SBB und Museum Rietberg.
Die 16 Personen, die bei uns arbeiten kommen hauptsächlich aus der grünen Branche, Gärtnerlehre, Absolventen ZHAW, Leute aus der Floristik oder Personen, die schon mehrere Jahre auf dem Beruf arbeiten und sich das Wissen in der Praxis angeeignet haben. Wichtig ist für uns, dass jede und jeder, der bei VEG and the City arbeitet beraten kann, z.B. wie pflanze ich eine Tomate, worauf muss ich achten.
Wie sieht in ihrer Firma die Weiterbildung aus?
Damit die Ladeneröffnung in Winterthur gelingt, haben wir einen Monat Vorbereitung und Schulung eingesetzt. Weiter nutzen wir das Kursangebot von Pro Specie Rara. Unsere fachliche Ausrichtung ist klar biologisch. Wenn etwas nicht biologisch verfügbar ist, prüfen wir im Einzelfall was Alternativen wären. Wichtig ist für uns auch dass es aus Schweizerproduktion ist
Welches sind die wichtigsten Produkte?
Das Bacsac System und stapelbare Systeme aus Kunststoff. Weiter gehörten die Samen aus biologischer Produktion dazu von Artha Samen, Sativa und C. und R. Zollinger.
Etwa einen Drittel des Umsatzes erzielen wir mit Pflanzengefässen. Ein weiteres Drittel mit biologischen Samen und Setzlingen. Hier beginnen wir mit der Planung im Herbst. Die Mengen definieren wir anhand unserer Erfahrungswerte. Die Produktion der Setzlinge übernimmt unter anderem die Gärtnerei der Stiftung Palme in Pfäffikon sowie weitere Gärtnereien um den Zürichsee. Je nach Absatz und Wetter können wir grössere oder kleinere Mengen früher oder später beziehen. Überschüsse pflanzen wir in unserem Garten an. Wir versenden keine Pflanzen und Tongefässe. Leuten, die das nicht selber heimschleppen wollen, bieten wir die Auslieferung mit Züriwerk an.
Bieten Sie spezielle Kurse für vertikale Nutzgärten an?
Es ist bereits ein Bestandteil des normalen Kurses. Hier behandeln wir wie die vertikalen Möglichkeiten für Nutzpflanzen. Neu im Kursangebot ist das Thema Wurmkompost für Anfänger. Da geht es darum, wie ich auf meinem Balkon in einer Wurmbox Bioabfall recyceln kann.
Ist es in 10 Jahren grüner an der Lagerstrasse?
Es gibt verschiedene Initiativen in Zürich, die diesen Wunsch aufgreifen, z.B. vergangenen September zuerich-isst.ch. Grün Stadtzürich fördert die Bepflanzung der Balkone und zeigt mit der Ausstellung «Aufgetischt. Von hängenden Gärten und Pilzgaragen» dass es auch etwas wilder aussehen darf. Allerdings erfordert die Platzierung eines Pflanzengefässes auf öffentlichem Grund eine Bewilligung. Ebenfalls für die Bepflanzung einer Baummulde muss man anfragen.
Upcycling als Konzept versus Verkauf von Pflanzengefässen, wie positioniert sich VEG and the City?
In den Kursen werden jeweils beide Varianten angesprochen. Die Aufzucht von Setzlingen kann in Kokosanzuchttöpfen durchgeführt werden. Es funktioniert aber auch ein Joghurtbecher. Der Entscheid liegt bei der Kundin oder dem Kunden.
Wo sehen Sie das grösste Entwicklungspotenzial? In der Planung von Nutzgärten oder bei den Kursen?
Der Fokus liegt auf weiteren Ladenlokalen. Wien, London oder auch San Francisco wären toll. Noch nicht beantwortet ist die Frage wie gross die Firma werden soll. Ein weiteres Entwicklungspotenzial sehe ich bei Gefässen aus nachwachsenden Rohstoffen. Die Leute suchen weniger Plastik. Das wäre seitens der Kunden ein starker Wunsch. Bei den Gefässen kommt wieder mehr Holz. Heutzutage wandeln sich die Leute schnell, es muss daher auch nicht für die Ewigkeit halten, wenn es sich um einen nachwachsenden Rohstoff handelt.
Sind vertikale Nutzgärten eher ein sozialpädagogisches Projekt oder eher Freizeitvertreib?
Die Leute sollen wieder sehen woher das Gemüse kommt. Im Vordergrund bei VEG and the City steht die Beratung. Es gibt keine erfolgsbasierte Entlöhnung des Verkaufspersonals. Man kann alles in kleine Mengen kaufen. Die Substrate sind im Offenverkauf erhältlich, z.B. eine Hand voll Mulch. Die Leute sollen zufrieden den Laden verlassen und Erfolg mit ihrem Nutzgarten haben. Das ist das Wichtigste.
In welcher Beziehung stehen Sie zu Schülergärten und Familiengartenarealen?
Jeder ist bei uns willkommen. Wir haben unter unseren Kunden auch Schulen oder Leute aus Familiengärten. Unser Fokus liegt auf Essbarem auf dem Balkon, essbare Blumen gehören auch dazu. Wichtig ist die Durchmischung, etwas für die Insekten, etwas für den Magen und etwas fürs Auge. Kunden in der Beratung, die auch reine Staudengärten wollen verweisen wir weiter. Zierpflanzen sind bei uns eher ein Randthema. Neophyten bieten wir gar keine an.
Planen Sie weitere Filialen von VEG and the City?
Wir haben diverse Orte besucht und sind in Winterthur fündig geworden. Winterthur ist eher eine grüne Stadt. Das Lokal liegt in der Innenstadt. Die Verkaufsfläche ist doppelt so gross wie an der Lagerstrasse und verfügt über zwei Stockwerke. Die Filiale in Winterthur wird mit identischem Konzept betrieben. Im Sommer öffnet dann unser drittes Ladenlokal in der neuen Freilager Überbauung in Zürich Albisrieden. Anders als die beiden bestehenden VEG and the City Stores, welche Gartenstore mit Blumenbinderei sind, ist das neue Ladenlokal eine Blumenbinderei mit Gartenkiosk – VEG and the City Bloom. Der Fokus im dritten Ladenlokal liegt auf saisonale, nachhaltig produzierten Schnittblumen, offen und wild gebunden. Ergänzt wird das Sortiment mit essentiellem zum urbanen Gärtnern. Unser Vollsortiment fürs urbane Gärtnern wird in Zürich weiterhin nur an der Lagerstrasse zu finden sein.
Noch ein paar Fragen zur Person. Wie hat alles begonnen?
Irgendwann war der Zeitpunkt für einen Wechsel gekommen. Ich hatte Wirtschaft studiert und war in diesem Bereich beruflich tätig. Dann kam der Moment in einem Industrie-Unternehmen, wo ich merkte, dass ich dort nicht mehr hinpasse. Nach fünf Monaten bin ich dort gegangen. Als Alternativen gab es entweder eine neue Bewerbung in einem anderen Unternehmen oder etwas Eigenes anzupacken. Ich entschied mich etwas Eigenes aufzubauen. Es musste etwas sein, das man schnell aufbauen konnte. Nach einem kurzen Findungsprozess bin ich einem online Shop mit Produkten rund um das Thema urban gardening gestartet. Die Garage war mein Warenlager. Der Zeitpunkt war ideal. Urban gardening wurde in der Schweiz gerade ein wichtiges Thema. Dadurch erhielten wir schnell grosse Bekanntheit. Unser Schwerpunkt lag bei Pflanzgefässen für kleine Flächen. Kunden fragten uns an bezüglich Gartenkursen, das führte dann zum Kursangebot. Eigene Gartenerfahrungen sammelte ich im Garten der Eltern. An meinem neuen Standort haben wir eine aufgeschüttete Terrasse und Pflanzengefässe. Hier lässt sich verschiedenes ausprobieren, urban gardening auf dem Land.
Welches ist ihr Lieblingsgemüse?
Meine Lieblingsgemüse sind Tomaten und Okra. Tomaten mag ich am liebsten aus eigener Ernte. Tomaten im Winter in Läden eingekauft sind nicht so geschmackvoll. Okra ist ein Gemüse, das häufig in Indien angepflanzt wird. Es ist sehr wärmebedürftig und gehört nicht zu den lokalen Gemüsen.
Wo liegen ihre Vorlieben? Gartenbeet oder vertikale Nutzgärten?
Eigentlich bei beiden. Es hängt davon ab, welche Pflanzen zum Einsatz kommen. Einen Kohl pflanze ich lieber ins Gemüsebeet andere Pflanzen eignen sich gut für vertikale Nutzgärten.
Welches sind die grössten Gartenerfolge?
Ein Schlüsselerlebnis war die erste Ernte von einem aufgeschütteten Gemüsebeet. «Ich kann davon essen», das war eine sehr wichtige Erfahrung. Eine Kundin sagte einmal, sie fühle sich mächtig beim Gärtnern.
Welches war der grösste Misserfolg?
Die Erfahrung, dass Tomaten in der Wohnung ohne Pflanzlicht nicht funktionieren. Oder ein Jahr mit extrem vielen Schnecken. Generell, wenn die Natur gewinnt und alles Gärtnern umsonst ist. Ein weiteres Frusterlebnis war die Erkenntnis, dass der Boden der aufgeschüttet wurde, nicht der Beste ist, rasch ausgelaugt ist und mega lehmig wird.
Welche Gartenthemen reizen Sie am meisten für die nahe Zukunft?
Das Thema gezieltes Anpflanzen für Gerichte interessiert mich stark. Weiter verfolge ich den Trend und Wunsch vom Kunden zu nachhaltigen Pflanzengefässen. Ein weiteres Thema ist die Zunahme des Verständnisses der Leute, dass auch Gemüse Ziercharakter haben kann. Blühendes Gemüse und farbige Zucchini können sehr dekorativ sein.
Was ist ihre Gartenvision für die nächsten zehn Jahre?
Die Biodiversität sollte in den Städten zunehmen. Sie sollten zudem grüner werden. Der urbane Gemüsebau sollte sich verfestigen in der Gesellschaft. Es müsste zur Allgemeinbildung gehören, wie man eine Zucchini pflanzt.
Besten Dank für das Gespräch!
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