Wer Pflanzen selber vermehrt, ist immer wieder fasziniert über die Formen- und Farbenvielfalt von Samen. Warum ausgerechnet diese Form oder jene Farbe? Was steckt dahinter? Zwei sehr unterschiedliche, ausgezeichnete Bücher gaben den Anstoss für ein paar Geschichten über die Samenverbeitung.
Bild: Parnassia fimbriata, Samen mit Wabenstruktur
Die reifen Samen von Löwenzahn fliegen wie Fallschirmchen durch die Luft und werden häufig an Orte getragen, wo sie nie keimen werden. Nicht wirklich ein Problem beim Löwenzahn, da die Anzahl der fliegenden Samen sehr gross ist. Die gelb leuchtenden Fettwiesen des schweizerischen Mittellandes bestätigen uns dies.
Samen können staubfein sein, wie beispielsweise bei der Orichdee Calanthe vestita: ein einziges Gramm Saatgut enthält ungefähr zwei Millionen Samen. Die einzelnen Samen verfügen bei den Orchideen, aber auch bei Fettkräutern (Pinguicula sp.), Fingerhüten (Digitalis), Sonnentaugewächsen (Droseracceae) und Heidekrautgewächsen (Ericacea) über eine grosse Oberfläche. In ihrem Innern verfügen sie über grosse, leere Zellen, die mit Luft gefüllt sind. Ähnlich einem Ballon schaukeln diese staubfeinen Samen langsam durch die Luft bevor sie auf der Erde landen.
Birkenpollen werden durch den Wind bestäubt und teilweise vom Wasser weiter getragen.
Manchmal ist der Wind nur indirekt beteiligt an der Verbreitung von Samen. So ähneln beispielsweise die Kapseln vieler Mohnarten (Papaver sp.) einem Salzstreuer. Die ringförmig angeordneten Poren an der Spitze zerstreuen die feinen Samen, wenn der Wind an den Kapseln rüttelt. Dieses System machen sich auch Nelkengewächse wie Silene sp. und verschiedene Garten-Nelken (Dianthus sp.) zunutze. Ihre Kapseln tragen an den Spitzen feine Zähnchen, welche die feinen Samen wohldosiert auf den Boden streuen.
Typische wabenartige Form von Samen, die mit dem Wind transportiert werden.
Das Wasser nutzen viele Samen als Medium, um sich zu verbreiten und an einem günstigen Ort zu landen. Dies bedingt allerdings ein wasserundurchlässiges Gewebe (häufig korkartig) und den Einschluss von Luft. Die Samen der Seekanne (Nymphoides peltata) beispielsweise sind eigentlich schwerer als Wasser, können sich aber durch ihre flache Form und ihren Borstensaum über dem Wasser halten, indem sie sich ineinander verketten und ans Gefieder von Wasservögeln anhaken und so in andere Gewässer gelangen.
Bild: Kokosnüsse unternehmen weite Meerreisen. (Wiki Commons)
Sehr erfolgreich in Sachen Verbreitung war beispielsweise die Kokosnuss, die sich perfekt für die Verbreitung über lange Distanzen im Meer eignet. Einzelne Nüsse treiben mitunter tausende von Kilometern durch die Meere, voran getrieben durch Strömungen, bevor sie ein neues Ufer besiedeln. Diese Taktik hat zu einer Verbreitung in den gesamten Tropen geführt.
Wer aufmerksam das Strandgut an europäischen Küsten studiert, wird häufig Saatgut von fremdartigen Hülsenfrüchten finden, sogenannten Seebohnen. Aus Südamerika, aber auch aus Afrika werden mit der Meeresströmung diese Bohnensamen angeschwemmt. Besonders auffällig sind die Samen von Entada gigas, einer Lianenart aus den tropischen Ländern Amerikas, Afrikas und Asiens. Die Samen mit einem Durchmesser von fünf Zentimetern sind in 180 cm lange Riesenhülsen gepackt, häufig aber als Einzelsamen an den europäischen Stränden zu finden. Sie wurden früher häufig zu Dosen verarbeitet oder in England den Kleinkindern als Beissringe zugesteckt. Heute noch werden zahlreiche Seebohnen zu Schmuckstücken verarbeitet.
Weniger verlustreich ist die Verbreitung von Samen durch Tiere. Für die Pflanzen hat dies zur Folge, dass sie weniger Samen produzieren muss. Dieser Transport kann auf verschiedene Arten geschehen, indem sich der Same am Pelz oder Gefieder festhängt oder gefressen wird und die Verdauung des Säugetiers passiert und wieder ausgeschieden wird.
Es gibt erstaunliche Geschichten von Spezialisierungen. So neigt beispielsweise die einjährige afrikanische Melonenart, Cucumis humifructus ihre Blüten nach der Befruchtung dem Boden zu. Aus dem Fruchtknoten wächst die Frucht tief in den Boden hinein. Angezogen vom Wassergehalt der Melone steckt das durstige Erdferkel seinen langen Rüssel in die Tiefe und saugt das Wasser mitsamt den Samen auf. Mehrere Kilometer von der Futterstelle entfernt, werden später die Samen ausgeschieden und der Wachstumszyklus der Melone kann von neuem beginnen. Erdferkel und Melone können zufrieden sein. Es gibt aber auch andere, wirklich unangenehme Verbreitungsarten.
Teufelskrallen (Tribulus terrestris) sind knapp einen Zentimeter gross und wirken martialisch. (Wiki Commons)
Wie beispielsweise die Verbreitung durch Teufelskrallen oder ähnlich schmerzhafte Teufeleien der Natur. Zu ihnen gehört der Erd-Burzeldorn (Tribulus terrestris), der auch Teufelsdorn oder Morgenstern genannt wird. Seine Früchte zerfallen in einzelne Früchtchen, die mit längeren und kürzeren Dornen versehen sind. Egal wie sie fallen, immer zeigen einige Dornen nach oben und bohren sich in die Fusssohlen von Tier oder Mensch. Bei den Schafzüchtern in der ungarischen Tiefebene sind diese Pflanzen deshalb verhasst, da sie den Tieren eitrige Wunden bescheren und sie beim Laufen behindern.
Teufelskrallen kommen vor allem in tropischen Ländern vor. Eine der übelsten ist in iSüdafrika zu finden, die Afrikanische Teufelskralle (Harpagophytum procumbens), die eine holzige Kapsel bildet mit spitzen Fortsätzen und Widerhaken und bei allen Lebewesen, die auf sie treten, schlimme Wunden verursacht.
Bild: Tribulus terrestris sieht als Pflanze harmlos aus. Samen siehe oben. (Wiki Commons)
Manchmal scheint es nicht zu genügen, lediglich eine Methode der Samenverbreitung vorzusehen. Eine ausgeklügelte, mehrfach gesicherte Methode ist jene des Quinine Shrub in Australien (Petalostigma pubescens). Der Strauch aus der Familie der Euphorbien produziert Steinfrüchte, die gerne von Emus gefressen werden. Die unverdauten, harten Steine werden nach ungefähr drei Tagen im Kot ausgeschieden. Dies geschieht während der heissesten Zeit in Australien. Die Wassertemperatur im Samen steigt und steigt, bis der Druck so gross wird, dass die Kerne explodieren und pro Stein mehrere Samen wegschleudern. Damit nicht genug. Die Samen sind mit einer Fett-Zucker-Eiweiss-Verbindung umhüllt und damit ein gefundenes Fressen für Ameisen, die sie in ihre Bauten tragen. Die Samen sind im Ameisenbau vor Steppenbränden geschützt und sind später in der Lage zu keimen.
Wem all diese (wahren) Samengeschichten zuviel waren, dem bieten wir eine schöne, duftende Fruchtschale an mit Ananas, Erdbeeren, Äpfeln, Feigen und Mangos. Alles Früchte, die übrigens mit ihrem Duft Säugetiere anziehen, welche sie fressen und die Samen weiter verbreiten. Schmecken soll es, dem Mensch wie dem Tier.
Die Bücher:
Klaus R. Jelitto: Ein Blick in die wundersame Welt der Pflanzensamen und wie diese Welt entstand.
2009; Books on Demand GmbH, Norderstedt; 229 Seiten, zahlreiche Abbildungen; Fr. 58.90
ISBN 978-3-8391-5444-1
Ein ausgezeichnetes Fachbuch über das Thema Pflanzensamen, das sowohl thematisch umfassend als auch sehr verständlich geschrieben ist. Die Fachfrau, der interessierte Laie liest über die Entwicklung der Samenpflanzen, die Rolle der Pflanzenhormone, Qualitätsmerkmale von Samen bis hin zu zahlreichen Hinweisen für die Praxis der Samenvermehrung sehr viel Wissenswertes in konzentrierter Form. Ein ausgezeichnetes Lehrbuch.
Der Autor Klaus R. Jelitto ist der Gründer von Jelitto-Staudensamen, einem der weltweit wichtigsten Produzenten mehrjähriger Pflanzen mit einem Angebot an Staudensamen für Profis, das kaum Wünsche offen lässt. www.jelitto.com
Wolfgang Stuppy, Rob Kesseler, Madeline Harley: Die unglaubliche Welt der Pflanzen.
2009; Gerstenberg Verlag, Hildesheim; 135 Seiten, farbige Abbildungen; Euro 29.90/ Fr. 49.50
ISBN 978-3-8369-2620-1
Aus der Zusammenarbeit eines Künstlers und zwei Wissenschaftern ist ein ganz besonders Buch entstanden. Die ästhetischen Fotografien, die teilweise durch das Elektronenmikroskop aufgenommen wurden, zeigen Details wie Pollenformen und andere Pflanzenorgane der generativen Vermehrung, Bestäuber, Früchte und Samenformen. Auf schwarzem Hintergrund wirken die Detailaufnahmen stark, der Text allerdings ist schwieriger lesbar vor, da er grafisch wengier gut in Erscheinung tritt. Das hat allerdings nichts dem Inhalt zu tun, der interessant, überraschend, fachlich kompetent und gut lesbar ist. Ein empfehlenswertes Bilder-Lesebuch.
Wo nicht anders erwähnt, stammen die Abbildungen aus „Die unglaubliche Welt der Pflanzen“, mit freundlicher Genehmigung des Gerstenberg Verlags.
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