Interview mit Michael Flühmann zum Thema der Spezialpräsentation Beerenstarke Stadtoase anlässlich der öga 2016.
Wie ist die Idee entstanden, dass die Lernenden an dieser Spezialpräsentation „Beerenstarke Stadtoase“ beteiligt sind?
Das ist eigentlich eine Tradition an der öga. In den letzten Jahren gab es in Zusammenarbeit mit dem Branchenverband immer Spezialpräsentationen vorwiegend zu Themen über Nachhaltigkeit, Umwelt, Bodenschutz etc.
Bis jetzt hat man das vielleicht etwas weniger wahrgenommen. Bis 2014 waren die Beiträge als temporäre Installationen in unseren Produktionshallen aufgebaut. Nach der öga mussten sie wieder abgebaut werden. Das ist das erste Mal, dass wir im Park die Gelegenheit nutzen etwas aufzubauen, das dauerhaft bleibt.
Wie sind Sie auf die Thematik urban gardening gekommen?
Urban gardening hat mich persönlich schon immer beschäftigt. Im Zusammenhang mit dem Wechsel in der Messeleitung fiel der Entscheid keine temporäre Ausstellung mehr aufzubauen, sondern mit den Lernenden etwas Bleibendes zu schaffen. Wir haben uns Gedanken gemacht, was sich unter Einbezugs des Parks realisieren lässt. Unser klassischer Beerengarten stand zur Disposition. In seiner Anlehnung war er immer noch klassisch organisiert, mit strikter Reihenpflanzung, einer sehr grossen Vielzahl an Sorten und die Schulung der Sortenkenntnisse stand im Vordergrund. Das wollten wir durchbrechen. Wir zeigen im Konzept die Elemente des alten klassischen Beerengartens an den Rändern und in der Mitte der urbane zukünftige Garten. Nachdem die Idee geboren war, haben wir begonnen die Berufsbildner ins Boot zu holen namentlich Stefan Tschanz. Er war eigentlich dahinter der Gestalter. Er hat die Idee auf Papier gebracht. Mit der Idee und dem Plan begann er zusammen mit dem Berufsbildner Kollegen Rolf Weingart und den Lernenden die ersten Schritte zu machen. Die Inhalte wurden bestimmt und mit dem Bauen angefangen.
Wie war die Motivation der Lernenden am Projekt mitzuarbeiten? Haben Sie gerne mitgearbeitet oder hat es einen grossen Vorlauf gebraucht?
Es war spannend, als wir starteten war es Oktober, anfangs November. Im Hinblick auf die bevorstehenden winterlichen Wetterverhältnisse haben wir den Bereich überdacht um für die Lernenden optimale Arbeitsbedingungen zu schaffen, analog zur Werkhalle für die Gartenbauer. Ab diesem Zeitpunkt fing es an, sich zu entwickeln. Es ist wie oftmals bei Projekten, wenn etwas sichtbar wird, das heisst vom Plan zur Umsetzung gelangt, dann sind die Leute motiviert. Immer mehr Lernende haben begonnen, es cool zu finden.
Was bei uns spezifisch ist, man kann nicht einfach durchgängig bauen, wie in einem Gartenbaubetrieb. Man hat Theorie und Praxis. Die Lernenden besuchen halbtageweise die Schule und arbeiten halbtageweise in der Praxis. So kann ein Lernender nicht wie in einem Betrieb eine ganze Woche durchgängig daran arbeiten. Alle sind prosaweise, tage- oder halbtageweise dran. Gleichwohl war die Motivation sehr hoch. Steter Tropfen höhlt den Stein. Die Freude wurde im grösser. Und beim Messevorlauf waren sie fast nicht mehr zu bremsen.
Welchen Bezug haben die Jugendlichen zum Thema urban gardening. Sind sie aus der Stadt oder vom Land?
Bei uns ist es gemischt. Wir haben Jugendliche, die eher aus urbanen Gegenden kommen und auch solche, die eher aus ländlichen Gegenden, so wie hier kommen. Selber gärtnern hat zudem auf dem Öschberg Tradition. Früher waren auf den Fenstersimsen Geranienkistchen, die durch die Lernenden unterhalten wurden. Manchmal wuchs auch noch etwas anderes. Mit der Zeit war diese Idee nicht mehr so opportun.
Die Fläche soll nach der Messe zur freien Verwendung der Lernenden verfügbar sein. Sie soll motivieren zum selber experimentieren und selber anpflanzen. Wichtig ist, dass es keinen Museumscharakter hat, sondern die Lernenden animiert selber etwas zu gestalten und zu bepflanzen. Da haben wir festgestellt, dass hier Freude ist. Man sieht es auch am Wettbewerb der parallel zu diesem Projekt läuft. Die Lernenden erhielten die Aufgabe immer zu Dritt zum Thema urban gardening auf einer gegebenen Grundfläche (Betonplatte) eine Installation zu erstellen. Die Prämierung findet am Freitag statt.
Wie ist das Thema urban gardening in der Grundbildung verankert?
Da gelangen wir langsam auf härtere Materie mit dieser Frage. In der Grundbildung unterrichte ich nicht. Ich kann darum die Frage nur aus meiner Sicht und aus der Perspektive der höheren Berufsbildung beantworten. Meine Wahrnehmung ist bei meinen Studierenden, dass die Thematik nicht sehr ausgefeilt ist. Es ist, wie ich in meiner Rede gesagt habe. Als ehemaliger GALA-Bauer bin ich noch gut vernetzt in der Branche und habe viele Kundenkontakte. Diese sagen oft, dass sie bald mehr Ahnung von Nutzpflanzen und Mischkulturen haben und dass es den Gartenbauer gar nicht gross interessiert.
Ich will es nicht plakativ darstellen, ich denke aber, es ist eine Tatsache: Der Gartenbauer ist noch zu wenig sensibilisiert auf das Potenzial, das hier vorliegt.
Man hat sicher nicht mehr die klassischen Nutzgärten wie sie meine Grossmutter oder teilweise meine Mutter hatten. Bereits meine Eltern haben den Nutzgarten verkleinert. Man hatte vielleicht noch etwas Himbeeren, Salat, und so, es war aber nicht mehr der Nutzgarten, den ich noch in Erinnerung von meiner Grossmutter habe, der wirklich der Nahrungsversorgung diente.
Und heute ist Tatsache, dass man viele kleine Räume hat: Einfamilien-, Reiheneinfamilienhaus- und Terrassengärten. Bei unseren Kunden ist die Thematik urban gardening gut angekommen. In vielen Gartenzeitschriften ist es ein Dauerthema. Da habe ich manchmal Mühe, wenn ich die Gärtner höre, die sagen: „Das sind Freaks, das sind die Einkaufswägeligeschichten und das sieht so unsauber aus, das ist nichts für uns.“
Wir wollen hier beispielsweise auch mit der Bauweise aufzeigen, dass mit rezikliertem Material bei Umänderungen wunderbar ein Hochbeet gebaut werden kann. Wir zeigen auch, dass es namhafte Schweizer Firmen gibt, die Firma Sager beispielsweise, die gute Produkte haben. Wir haben ein Spezialelement fertigen lassen, nicht etwas ab Stange. Wir wollen damit zeigen, dass es für Gärtner Möglichkeiten gäbe, auch wenn man es nicht selber machen will. Es lässt sich auf die Wünsche der Kunden konfektionieren. Das ist auch eine Botschaft. Es kann auch freakiger werden, je nach Kunde. Man kann auch mit Weiden arbeiten. Die Welt des urbanen Gartens ist riesig, aber man muss sie nutzen. Der Kunde wünscht einen Gärtner, der fachlich Bescheid weiss und möchte beraten werden. Für den ist das nicht Hobbyzeugs, der geht darauf ein. Urban gardening hat Potenzial zum Lifestyle. Ich möchte ein cooles Hochbeet und der Gärtner soll eine geeignete Bepflanzung vorschlagen, die nachher funktioniert, am besten mit Bewässerung und Beleuchtung. Hier haben wir aber bei der Bepflanzung aufgehört.
Noch eine letzte Frage: Ist im neuen Beerengarten Mundraub erlaubt?
Der Beerengarten ist für die Lernenden und die Besucherinnen und Besucher gedacht. Man kann degustieren so viel man will. Abschliessend möchte ich noch etwas sagen zum Potenzial der Beeren in unseren Hausgärten. Meistens haben die Kinder nur irgendeinen Gummisandkasten. Mit ein paar Beeren dahinter ergänzt zum „schnausen“ wäre dieser Ort attraktiv. Mundraub wäre an einem solchen Ort willkommen. Heutzutage wissen leider viele nicht mehr, ob sie die Beeren essen können oder nicht, weil sie die Pflanzen nicht mehr kennen. Das ist ganz wichtig, dass diese Kenntnisse wieder unter die Leute kommen.
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