Dübendorf, St. Gallen und Thun, 09.03.2021 - Empa-Forschenden ist es gelungen, das Pigment Melanin in grossen Mengen aus Pilzen zu gewinnen. Der gigantische Hallimasch-Pilz im Dienste der Wissenschaft gehört zu den grössten Lebewesen der Welt. Die Anwendungen des «schwarzen Goldes» reichen von Holzschutzmitteln bis zum Bau von Musikinstrumenten und Wasserfiltern.
Seine Eigenschaften sind verblüffend und seine Anwendungen entsprechend vielfältig: Das Pigment Melanin, das beispielsweise die menschliche Haut vor schädigenden UV-Strahlen schützt (und uns eine sommerliche Bräune beschert), ist eine wahre Fundgrube für neue Materialien und Technologien. Zwar kommt der Wunderstoff in der Natur vor, im industriellen Massstab konnte das komplexe Biopolymer jedoch bis jetzt nur in teuren und aufwändigen Prozessen, bei denen nicht alle Eigenschaften reproduzierbar sind, künstlich hergestellt werden. Auch Prozesse, natürliches Melanin aus Mikroorganismen zu gewinnen, zeigten bisher eine geringe Ausbeute. Nicht verwunderlich also, dass die Substanz um ein Vielfaches teurer ist als Gold. Forschende der Empa haben nun Pilze dazu gebracht, das «schwarze Gold» in einem einfachen und hochskalierbaren Verfahren herzustellen. «Melanin verhält sich äusserst stabil gegenüber Umwelteinflüssen und ist nicht nur als Pigment, sondern auch weit darüber hinaus für die Entwicklung innovativer Komposit-Materialien interessant», sagt Empa-Forscher Francis Schwarze von der Abteilung «Cellulose & Wood Materials».
Auf der Suche nach einfacheren, günstigeren Verfahren zur Herstellung von natürlichem Melanin in grossen Mengen stiessen Schwarze und sein Team auf einen Pilz, der eigentlich als Pflanzenschädling im Wald zu finden ist: Armillaria cepistipes, der zwiebelfüssige Hallimasch. Sein erstaunlicher Stoffwechsel bindet Schwermetalle, lässt Holz im Dunkeln leuchten – und produziert Melanin. Und zwar massenhaft. «Wir haben eine vielversprechende Linie des Hallimasch-Pilzes selektiert, die mit unserer Technologie nun rund 1000-mal so viel Melanin produziert wie andere Mikroorganismen, mit denen die Pigmentherstellung bereits versucht wurde», so Schwarze. Der Trick: Der ausgewählte Pilzstamm lebt in einer Nährflüssigkeit und gibt das Melanin in die Umgebung ab. «Dieses System ermöglicht nun eine nachhaltige Produktion, die keine aufwändigen Extraktionsschritte mehr benötigt wie bisherige mikrobiologische Prozeduren», erklärt Empa-Forscher Javier Ribera, der massgeblich an dem Verfahren beteiligt ist. Nach drei Monaten habe ein Liter Hallimasch-Kultur bereits rund 20 Gramm Melanin erzeugt.
Die erleichterte und nachhaltige Produktion von Melanin ermöglicht es den Empa-Forschenden nun, Projekte zur Entwicklung innovativer Materialien voranzutreiben. Darunter ist beispielsweise ein System zur Wasserreinigung: Da Melanin in der Lage ist, Schwermetalle zu binden, kann es für die Entwicklung neuartiger Wasserfilter genutzt werden. «Wir haben das organische Melanin in künstliche Polymere wie Polyurethan integriert», erklärt die Empa-Forscherin Anh Tran-Ly. Mittels Elektrospinnen wurde das Polymergemisch in feinsten Fasern zu Membranen versponnen Bis zu 94 Prozent Blei lassen sich mittels der Melanin-basierten Komposit-Membranen aus verschmutztem Wasser entfernen, fand das Empa-Team heraus.
Schwarz wie Ebenholz
In der Natur setzen Pilze die Melaninpigmentierung unter anderem dazu ein, sich vor konkurrierenden Organismen zu schützen, die aus der Umgebung eindringen. Mit einer neuen Technologie lässt sich der färbende Stoff nun auch verwenden, um viel grössere Lebensgemeinschaften vor menschlichem Einfluss zu schützen: Mit Melanin lassen sich tropische Wälder schonen, in denen das wertvolle Ebenholz wächst.
Tropisches Ebenholz gilt auch wegen seiner einmaligen dunklen Farbe als besonders kostbar. Ein nachhaltiger Prozess, der gewöhnliches einheimisches Fichtenholz zu einem optisch ebenso attraktiven Produkt aufwertet, lässt vulnerable Tropenwälder aufatmen. «Wenn Fichtenholz in eine Melanin-Suspension eingelegt wird, lässt sich ein tiefdunkles Holz erzeugen, dass farblich mit Ebenholz vergleichbar ist», sagt Empa-Forscher Tine Kalac.
Serpentino – Die kleine Schlange unter den Instrumenten
Da der Hallimasch-Pilz Melanin als Waffe gegen Artgenossen einsetzt, liegt es nahe, diesen Schachzug auch einzusetzen, um Holz vor Schadpilzen zu schützen. Um einen Melanin-basierten Holzschutz zu entwickeln, sind die Empa-Forschenden an einem kürzlich gestarteten, interdisziplinären Forschungsprojekt beteiligt, das von Innosuisse, der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung, unterstützt wird. Sie wollen ein historisches Blasinstrument, den Serpentino (auf deutsch: kleine Schlange), nachbauen.
Partner des Projekts ist neben der Fachhochschule Nordwestschweiz und dem Historischen Museum Basel das Unternehmen SBerger Serpents in Le Bois (JU), das für die praktische Umsetzung des Forschungsvorhabens zuständig ist. Firmengründer Stephan Berger ist begeistert von der Wiedergeburt des seltenen Instruments: «Der Serpentino wurde vor über 400 Jahren verwendet und stand Pate für moderne Instrumente wie das Saxophon und die Tuba», erklärt er. Es sei zwar eine spielerische Herausforderung für die Musizierenden, das Instrument zu meistern, der Klang sei dafür aber unvergleichlich, schwärmt Berger. «Der Serpentino erzeugt Klänge, die reich an Obertönen und sehr berührend sind.» Ursprünglich sei das Blasinstrument in Kirchen zur Unterstützung des Gesangs eingesetzt worden, da es die Register der menschlichen Stimme abdecke und so einen Chor «stützen» könne, erzählt der passionierte Instrumentenbauer.
Obwohl heute ein Trend zur historisch informierten Aufführungspraxis dazu führt, dass der Serpentino begehrt ist, kann Berger seine Kunden nicht mit Instrumenten beliefern: Die eigentümlich geschwungenen Originalinstrumente sind rar geworden. Denn im Inneren der Nussbaumholz-Schlange entsteht nicht nur ein unvergleichlicher Klang – es tobt auch ein Krieg: Das Kondenswasser aus der Atemluft der Musiker schafft ein feuchtes Mikroklima, das hervorragende Bedingungen für das Wachstum von allerlei Schädlingen liefert. Und so zersetzen Mikroben und Pilze die jahrhundertealten Instrumente und zerstören die letzten Originalexemplare nach und nach.
Vor diesen Schäden sollen die originalgetreuen Serpentino-Nachbauten des Forschungsprojekts nachhaltig geschützt werden. Hier kommt das Melanin der Empa-Forschenden ins Spiel: «Wenn wir eine Melanin-basierten Holzschutzimprägnierung einsetzen können, lassen sich nicht nur die neugebauten Serpentinos vor dem Verfall retten», sagt Berger. Auch andere Holzblasinstrumente, die heute mit einheimischen, weniger resistenten Hölzern gebaut werden, könnten von einer derartigen Schutzschicht profitieren. Daher sei die Zusammenarbeit mit dem Empa-Team für den Instrumentenbau in doppelter Hinsicht spannend.
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