Im November, Dezember, es kann auch Januar werden, flattern die kleinen Kataloge ins Haus. Für Uneingeweihte sind sie langweilig: ohne ein einziges Bild, mit Nummern versehen, gefolgt von lateinischen Namen, alphabetisch geordnet. Ganz wenige sind nach Gehölzen, Stauden, Einjährigen und Gräsern geordnet. Sie kommen von der Alpine Garden Society, The Hardy Plant Society, der Royal Horticultural Society, der Deutschen Stauden Gesellschaft und von der Gesellschaft Schweizer Staudenfreunde. Manche Listen sind umfangreich, andere beschränken sich auf wenige Seiten. Sie werden von ihren Mitgliedern aufmerksam studiert und nach speziellen Stauden oder Gehölzen durchforstet. Besonders aufmerksam wird die Leserin dann, wenn es sich um eine Rarität handelt, von der es nur wenige Samen gibt oder die von einem Naturstandort stammt.
Bild: Diese Babiana sambucina (Zwiebelpflanzen) aus Südafrika sind nur für geschützte, milde Lagen geeignet oder als Topfkultur./Stan Shebs, WikiCommons
Die Qual der Wahl
Besonders attraktiv sind jene Kataloge, die von Pfanzenorganisationen stammen mit vielen Mittgliedern, die möglichst weltweit verstreut leben. Bereits eine grosse Mitgliederzahl in England garantiert eine grosse Vielfalt an Pflanzenarten. So liest die Pflanzenfreundin mit leuchtenden Augen dieses vermeintlich langweiligen Heftchen, trägt sie auf Zugfahrten bei sich und studiert diese endlosen Listen. Manche kreuze ich mir an, um dann im Internet zu recherchieren, ob diese Pflanzen interessant sein könnten. Im Moment ist bei mir die Seed List No. 59 der Alpine Garden Society hochaktuell mit mehr als 6000 Pflanzenarten, von denen ein Mitglied 23 bestellen darf. Was für eine Qual, sich durch 6000 Arten zu lesen und sich derart beschränken zu müssen! Diejenigen, die selbst Samen eingeschickt haben, dürfen ein paar mehr auswählen
Bild re: Rhodophiala auraucana stammt aus dem südlichen Chile. Betreffend Winterhärte müssen eigene Erfahrungen gesammelt werden./Chile Plants
Bis anhin ging ich davon aus, dass es sich dabei mehrheitlich um alpine Pflanzen handelt, wie es der Name der Organisation vermuten lassen könnte. Dem ist aber nicht so. Nur ein Teil davon wachsen ausschliesslich in alpinen Gärten. Da wären beispielsweise 131 Allium-Arten. Und wer ist schon so verrückt Trillium (Dreiblatt) aus Samen zu vermehren? Das dauert ewig und bis etwa vier, fünf Jahre bis ein kleines Pflänzchen zu sehen ist. So wie es aussieht, müssen das weltweit immerhin ein paar Verrückte sein: 28 Trillium-Arten werden angeboten.
Samen aus eigenen Gärten
Eine bereits mehr als 100jährige Tradition des Samentausches kennt die altehrwürdige Royal Horticultural Society (RHS), die aus ihren eigenen Gärten – insgesamt vier in England – Samen anbietet. Die Organisation kann dabei auf ein Heer von freiwilligen Helferinnen und Helfern zählen, die bei der Samengewinnung mitarbeiten. Auch festangestellte Mitarbeitende sind damit beschäftigt, denn für die Organisation ist dies eine aufwändige, ganzjährige Arbeit. Alljährlich treffen 5000-6000 Bestellungen von Mitgliedern am Hauptsitz in Wisley bei London ein.
Die RHS versendet ihren Katalog jeweils sehr früh. Er ist vergleichsweise gut strukturiert und seit neuestem auch mit einigen Bildern versehen. Für Hardcore-Pflanzenfreaks eigentlich unnötig, aber irgendwie netter anzuschauen. Ich habe bereits 20 wunderbare Stauden- und Gehölzarten ausgewählt, die ich allerdings erst im Februar erhalten werde. Für Kaltkeimer ist es dann oft schon etwas spät, aber manchmal spielt das Wetter verrückt und es bleibt (glücklicherweise für jene Samen) noch etwas länger kalt, so dass sie im Frühjahr keimen und nicht noch ein Jahr überliegen.
Mit den Samen versendet die RHS eine Broschüre mit Kulturanleitungen zu den angebotenen Arten. Es lohnt sich, diese Kulturanleitungen aufzubewahren, da sie mit der Zeit ein gesammeltes Wissen an wissenschaftlich fundierten Anleitungen ergeben.
Wer Samen unbekannter Pflanzen aus fremden Ländern aussät, sollte sich vor der Aussaat informieren, um was für eine Pflanze es sichi handelt. Wenn in der Literatur Hinweise auf starke Verbreitung durch Ausläufer oder das Einkreuzen mit einheimischen Arten erwähnt sind, ist von einer Anzucht abzusehen. In jedem Fall sollen die unbekannten Pflanzen genau beobachtet werden, bevor sie in den Garten gepflanzt werden. Wenn sie dereinst ausgepflanzt sind, ist es wichtig zu beobachten. Erfolgt eine zu starke Ausbreitung, so ist es besser, die Pflanzen rechtzeitig aus dem Garten zu entfernen. Und bitte nicht einfach an die nächste Pflanzentauschbörse bringen, so dass der Nächstfolgende das Problem erbt. Auch nicht kompostieren.
Gärtnerinnen und Gärtner haben eine Verantwortung, die sie unbedingt verantwortungsvoll wahrnehmen müssen. Grundsätzlich ist es für die Vielfalt von Gärten bereichernd, wenn neue Pflanzenarten gepflanzt werden, aber mögliche stark ausbreitende Tendenzen müssen rechtzeitig erkannt werden.
Bild li: Ist er nicht prächtig, Aconitum hemsleyanum 'Red Wine'? Auch bei Jelitto erhältlich.
In manchen Samentausch-Katalogen werden auch Sorten angeboten. Da man bei manchen nicht weiss, ob sie echt fallen, ist das nicht immer gärtnerisch befriedigend. (Echt fallen, bedeutet, dass die Nachfahren aus den Samen gleich sind wie die Mutterpflanzen.) Bei Gattungen, die leicht einkreuzen, kann dies allerdings auch ein Potential für die Entdeckung neuer Sorten darstellen.
Manchmal geschehen auch Irrtümer: eine Art ist falsch angeschrieben oder vertauscht worden. Das Ergebnis fordert die Gärtnerin heraus. So hatte ich im letzten Frühjahr grosse Freude, weil (vermeintlich) Aconitum hemsleyanum (ein kletternder Eisenhut) gekeimt war. Bald stellte sich aber heraus, dass es sich um Erigeron karvinskianus (Feinstrahl) handelte. Für dieses nette Pflänzchen findet sich immer ein Platz im Garten, aber eben, es war kein Eisenhut.
Bild: Das war ein Samenvertausch, aber nicht unerfreulich: Erigeron karvinskianus (Feinstrahl)./Kurt Stueber, WikiCommons
Eigenes Saatgut weiter geben
Bei den meisten Organisationen senden jeweils die Mitglieder Saatgut für den Samentausch ein. Ab dem Spätsommer, bei einzelnen Arten bereits früher, können die ersten Samen geerntet werden. Anschliessend werden sie getrocknet, gereinigt, sauber verpackt und angeschrieben. Bei manchen Arten ist das eine aufwändige Arbeit. Zum Beispiel bei den verschiedenen Geranium (Storchschnäbeln), die mit einem Mechanismus ihre reifen Samen wegschleudern.
Bild li: Geranium palustre ist ein einheimischer Storchschnabel, der auf Feuchtwiesen wächst. Er blüht lange in leuchtendem Purpur und macht sich gut im Garten./WikiCommons
In dieser Saison habe ich Samen von Geranium palustre von einem Wildstandort geerntet. Selbst wenn die Samenkapseln vom richtigen Reifegrad geerntet sind, so muss der Deckel des Gefässes geschlossen bleiben. Mit dem Nachreifen spicken die Samen aus ihren Kapseln oft weit weg.
Mit dem eigenen Sammeln wird die Vielfalt der Samenkollektion einer Organisation grösser. Deshalb ist es auch sinnvoll, wenn sich viele Mitglieder daran beteiligen. Da die Samen jeweils in der Klimazone am besten keimen, wo die Mutterpflanzen auch gewachsen sind, werden sie mit Vorteil jener Organisation gesandt, die in der Nähe tätig ist.
Das Sichten all der eingegangenen Samen, das Erstellen von Listen und Portionieren beschert den jeweiligen Organisationen viel Arbeit, die von freiwilligen Helferinnen und Helfern übernommen wird.
Der Samentausch ist für die diese Organisationen auch eine bescheidene Einnahmequelle. Mit diesen Mitteln veröffentlichen sie Publikationen zu Fachthemen, veranstalten Exkursionen und fördern den Austausch zwischen ihren Mitgliedern. Für Pflanzenfreundinnen und -freunde gibts also mehrere Gründe als der Samentausch, um der einen oder anderen Organisation beizutreten.