Der Zufall oder besser, ein Onkel aus Amerika hat die Emmentaler Bauernfamilie Schindler auf den Ginseng gebracht. Seit zehn Jahren bauen sie Ginseng im Nebenverdienst zur Milchwirtschaft an. Im Herbst ist Erntezeit. Garten.ch war dabei.
Auf der Fahrt durchs Emmental prägen sattgrüne Wiesen die hügelige Landschaft. Kühe stehen auf den Weiden. In den gepflegten Bauerngärten leuchten Dahlien in vielerlei Farben. Bis Affoltern im Emmental sind die Hügel sanft, dahinter werden sie allmählich etwas steiler. Immer noch scheint Milchwirtschaft die prägende Einnahmequelle der Bauernbetriebe zu sein. Das ist auch bei der Familie Schindler so, die in einem Weiler in der Nähe von Affoltern lebt und arbeitet.
Bild oben: Schindlers Kühe auf dem Weg in den Stall.
Die 16 Milchkühe und das hügelige Weideland von 15 Hektaren stellen die Haupteinnahmequelle des Betriebes dar. Wie viele anderen Bauernbetriebe auch, mussten sich Ursula und Walter Schindler nach einem Nebeneinkommen umsehen, weil die Einnahmen aus dem Verkauf der Milch stets kleiner werden wegen dem sinkenden Milchpreis.
Kein fester Erntetermin
Einen Hinweis auf ihren besonderen Nebenerwerb gibt es auf den ersten Blick nicht. Der Bauernhof sieht aus wie andere Betriebe auch in dieser Gegend (Bild re): gepflegt, behäbig mit einem älteren Wohnhaus und einem umzäunten Nutzgarten mit Blumen und Kräutern. Dass die Schindlers ein fremdes Gewächs anbauen, darauf deutet wenig. Vielleicht die chinesischen Schriftzeichen auf dem Briefkasten, darunter übersetzt „General Manager“. Aha. Das unauffällige blaue Schildchen wird deutlicher: „Fit mit Emmentaler Ginseng“. Wir werden sehen. Heute, Anfang Oktober, ist Erntetag, oder besser, einer der Erntetage. „Das Gute ist, dass wir zwischendurch im Herbst den Ginseng ernten können. Wir sind nicht an einen bestimmten Zeitpunkt gebunden wie bei anderen Erntearbeiten“; erzählt Ursula Schindler. Die Aussaat, Pflege und Ernte ist ihre Aufgabe. Ihr Mann montiert im Frühjahr mit einem Mitarbeiter das Schattendach. Eine jährlich wiederkehrende, aufwändige Arbeit. Die Konstruktion muss bis in den Herbst Wind und Wetter standhalten. Wenn die Stauden im Herbst einziehen, kann das Schattendach wieder abgebaut werden.
Ausschliesslich Handarbeit
Für die Ernte braucht es wenige Werkzeuge: kleine Handschaufeln, einen Eimer. Der schmale Pfad führt gleich hinter Bach durch ein Wäldchen hügelaufwärts. Am Waldrand stehen die Ginseng-Beete an einem recht steilen Hang. Hier wird ausschliesslich von Hand gearbeitet, denn Maschinen können in diesem Gelände nicht eingesetzt werden. Auf einer 12 Aren grossen, schattierten Fläche wachsen auf je 3 Aren vier Jahrgänge Ginsengpflanzen.
Im Herbst ist nicht mehr viel von den Stauden zu sehen, da sie im Herbst einziehen. Auf einem der Beete mit dem vierjährigen Ginseng, den wir heute ernten, liegen einzelne, bräunlich verfärbte Blätter. Andere Stauden sind schon völlig eingezogen, deshalb müssen wir vorsichtig mit den Schäufelchen ans Werk, um die Wurzeln nicht zu verletzen. Die Erde ist krümelig und locker, so dass das Arbeiten leicht geht. Die Schäufelchen müssen tief genug angesetzt werden, bevor vorsichtig die Wurzel gelockert und angehoben wird, damit sie nicht verletzt wird. Ihre Farbe ist weisslich, manche haben eine gelblich-rötliche Farbe, die sich aber beim Trocknen angleicht. Bild oben re: Panax ginseng im Herbst. Bild unten: Eine relativ grosse, vierjährige Ginsengwurzel.
Jede Wurzel hat eine andere Form. Manche haben die menschenähnliche Form für die Ginseng-Wurzeln bekannt sind. Andere bilden eher knollenartige, rundliche Formen. Unterschiedlich sind auch die Grössen, obwohl alle das gleiche Alter haben. Manche möchte man am liebsten wieder vorsichtig eingraben, damit sie noch etwas wachsen können. Doch auch diese kleinen Wurzeln können weiter verarbeitet werden: sie werden in Scheibchen geschnitten, getrocknet und für Tee verwendet.
Keine Goldquelle. Ein Nebenverdienst
Wir ernten die halbe Länge eines Beetes ab und der Plastikkübel ist beinahe voll (siehe Bild re). „Nach dem Trocknen entspricht dies etwa einem Wert von 800 Franken“, rechnet Ursula Schindler vor. Das scheint viel. Wenn man jedoch bedenkt, dass es sich um eine vierjährige Kultur handelt, die mit viel Handarbeit verbunden ist, so sieht das anders aus. Die Zeiten, in denen Ginseng mit Gold aufgewogen wurde wie vor tausend Jahren in China, sind vorbei. Inzwischen wurde der Anbau des Heilmittels in Korea und China intensiviert, so dass weltweit die Preise für Ginseng gefallen sind..
Für die Schindlers ist der Ginseng keine Goldquelle:, „Eine Mischung zwischen Hobby und Nebenverdienst“, definiert Ursula Schindler. *Längst nicht jedes Jahr ist auch ein gutes Ginseng-Jahr. 2009 war die Ernte gut. Wie die Ernte in diesem Jahr aussehen wird, ist noch ungewiss.* Ginseng gilt als schwierige Kultur, nicht nur in Europa, sondern auch in Asien. „Der Ginseng möchte die Schritte des Bauern jeden Tag hören“, heisst eine chinesische Bauernregel, die viel über die Kultur verrät.
Wilder Ginseng streng geschützt
Ginseng ist eine Schattenpflanze, die in manchen Regionen Asiens und Nordamerikas nur noch selten in Wäldern zu finden ist. Sowohl der Koreanische Ginseng (Panax ginseng), als auch der Amerikanische Ginseng (Panax quinquefolius) sind streng geschützt und all Ihre Produkte werden kontrolliert bei der Einfuhr (CITES-Artenabkommen). Für Wurzeln aus (illegaler) Wildernte werden auf dem Schwarzmarkt (z.B. in Südkorea) horrende Preise bezahlt (bis zu 94'000 Dollar/kg).
Hierzulande werden Ginsengprodukte aus dem Koreanischen Ginseng (Panax ginseng) gewonnen. Die Wirkstoffe des Amerikanischen Ginseng (Panax quinquefolius) sind aber sehr ähnlich und enthalten ähnlich viel Ginsenosid (Wirkstoff). Bild oben: Vorsichtiges Ausstechen der Ginseng-Wurzeln.
Je älter die Wurzel desto gehaltvoller
Wer Ginseng kultiviert, muss einen schattigen Standort wählen. Die Pflanzen brauchen einen humosen, durchlässigen Boden, der keinesfalls nass sein darf. Sie sollten ausserdem vor Schnecken und Mäusen geschützt werden und nicht von Unkraut bedrängt werden. Bis zur Ernte dauert es vier Jahre. Andere Ginseng-Produzenten in China oder Korea ernten die Wurzeln erst nach sechs oder sieben Jahren. Bei manch älteren Wurzeln steigt der Ginsenosid-Gehalt (30 verschiedene Wirkstoffe). "Der Gehalt an Ginsenosid ist bei unseren vierjährigen Wurzeln sehr gut", bestätigt Ursula Schindler. Der Gehalt an Wirkstoffen wird regelmässig untersucht, um eine konstante Qualität des Ginseng garantieren zu können.
Nach der Ernte darf auf dem gleichen Beet während mehreren Jahren kein Ginseng angebaut werden. In China rede man von 30 bis 40 Jahren, in denen die Felder ruhen müssten, erzählt Ursula Schindler. Ob das denn der Platz kein Problem sei bei ihren Ginseng-Kulturen? „Nein, wir fügen einfach ein neues Beet an und setzen neue Pfosten für die Schattenhalle. Wir haben genügend Platz hier am Waldrand“, erklärt Ursula Schindler.
Möglichst eigenes Saatgut gewinnen
Ein weiterer Erntetermin steht im August an, also lange bevor die Wurzeln erntereif sind. Die Beeren werden gepflückt, um daraus Saatgut zu gewinnen. Bis die Samen reif sind für die Aussaat, braucht es wiederum Geduld, denn Ginseng-Samen müssen stratifiziert werden. Sie durchlaufen zusätzliche Kälte-Wärme-Prozesse, bis einerseits ihr Embryo so weit entwickelt ist, dass er keimen kann und die Saatschale durchlässig geworden ist für den Keimling. Zum Stratifizieren werden die Samen gut geschützt vor Mäusen und anderen Samenliebhabern im Garten vergraben.
Mit dem eigenen Saatgut machen die Schindlers bessere Erfahrungen als mit zugekauftem aus China. „Die eigenen Samen keimen besser und die jungen Pflanzen sind robuster“, erzählt Ursula Schindler und zeigt auf die verschiedenen Beete. „Am liebsten möchten wir nur eigenes Saatgut verwenden, aber leider reicht die Menge nicht aus.“
Bild oben rechts: Amerikanischer Ginseng (Panax quinquefolius) mit reifen Früchten./WikiCommons
Verarbeitung und Vermarktung
Wer ein „exotisches“ Produkt wie Ginseng anbaut, ist meist besser beraten, die Verarbeitung und Vermarktung selber zu übernehmen. So ist mit der Ernte erst ein Teil der Arbeit erledigt. Nun werden die Wurzeln gereinigt und dann anschliessend getrocknet. Aus einem Teil werden Chips hergestellt, die für Tee oder zum Kauen verwendet werden. Wem dies zu sehr nach Medizin schmeckt, der mag vielleicht lieber den Ginseng-Likör geniessen, eine köstliche Alternative.
Die Schindlers sind auch Gastgeber für Gruppen, die sich über den Ginseng – Anbau und die Verarbeitung informieren, die Pflanzen an Ort und Stelle sehen und eine Kostprobe der Ginseng-Stärkungsmittel degustieren möchten.
Wer selber Ginseng anziehen will, kann bei Ursula und Walter Schindler Samen (von Panax ginseng und P. quinquefolius, Versand und Aussaat Herbst), oder auch Pflanzen bestellen (Preis nach Alter abgestuft, Versand mit Erdballen im Frühjahr). Bild oben li: In Alkohol eingelegte Ginsengwurzel.
Anfragen:
Ursula und Walter Schindler
Oberrinderbach
3416 Affoltern im Emmental
Tel. 034 / 435 16 68
Mail: w.u.schindler@bluewin.ch
www.panax.ch
Eine Produzenten-Gemeinschaft, IG Ginseng, die gemeinsam Ginseng vermarktet, hat sich in der Region Luzern zusammen geschlossen. 15 kleinere Produzenten bauen, teilweise auch in Gewächshäusern, Ginseng an. Verschiedene Produkte (Teemischungen, Getränke) und Informationen sind auf www.ginseng-helveticae.ch zu finden.
Text und Bilder (ausser Amerik. Ginseng): Elisabeth Jacob
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